Es sind die Bilder der Menschenfresserin Coré, die mich beim Küssen
heimsuchen. Mich ergreift das Verlangen, mehr als nur die Oberfläche der
Lippen zu berühren. Ich will schlingen, schnell und viel. Ich stelle es mir
vor wie ein Eintauchen in die Materie. Als konsequente Verlängerung
meines Kusses. Das Küssen verschiebt sich fast unmerklich zum Nuckeln,
dann zum Abbeißen, bis zum Verschlingen. Es ist nicht unterscheidbar
was da auf der Leinwand genau passiert, bis das erste Blut fließt und der
erregte Atem zu einem panischen Keuchen wird. Coré tastet sich erst
langsam an die Lippen des Jünglings, leckt sie, knabbert, fester, weiter,
hört nicht auf, beißt zu, zieht am Fleisch, als hätte sie eine Spur zur
Wahrheit gefunden, die sie mit allen Kräften ihres Kiefers versucht
festzuhalten. Als hätte sich mit der warmen Materie seiner Oberlippe in
ihrem Mund ein einzigartiger Zugang zum Elementaren der Welt enthüllt.
Sein Innerstes wird freigelegt und es scheint ihm zu gefallen, ein
Ungetrennt-Sein, außen und innen zugleich.
Sie spielt mit diesem Zugang, streicht mit der Zunge über die Wunden,
die sie zugefügt hat, reibt sich daran und dringt in sie ein. Es ist ein
dionysischer Fleischrausch, der der Materie als Erlebte auf den Grund
geht. Tiefer, näher, gegen unendlich. Den Körper fragmentieren, in immer
kleinere Teile zerkauen, verdauen, bis nichts übrig bleibt. Damit schließt
sich der Zugang. Das Fleisch entgleitet. Das, was bleibt, sind nur Verweise
auf das Erlebnis, Einschreibungen in die Materie durch den Vollzug des
Aneignens. Es sind die mit Blut bedeckten Zähne, der ins Unbelebte
transformierte Körper des Jungen. »So war es ein Versehen. Küsse, Bisse,
das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das Eine für
das Andre greifen.« 1
1 H. v. Kleist: Penthesilea,
Stuttgart 2001,
S.115/2981-2983.