"Überall, wo Sie mit Rechnern in Kontakt treten, die sich der Organisation und Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen widmen (…) arbeitet noch immer irgendwo im hintersten Winkel der Software der Urgroßvater all dieser Programme, die Reste eines Codes namens "Leviathan", der vor Jahrzehnten im Auftrag der amerikanischen Luftwaffe entwickelt worden ist, um Panik bei einem atomaren Erstschlag der Russen zu verhindern. Das Philosophenehepaar Beatrice und Sidney Rome hatte damit das erste komplexe Mensch-Maschine-Programm überhaupt entwickelt. Es sollte dem Zweck dienen, Menschen in komplexen Entscheidungssituationen Instruktionen zu erteilen." (1)
Gemäß dieser Textstelle aus Frank Schirrmachers 2009 erschienenem Buch Payback wurde der biblische Name Leviathan für ein Computerprogramm verwendet, welches dem Menschen "im Ernstfall ziemlich genau vorschreiben würde, was sie zu tun oder zu lassen hatten" (2).
Der zitierte Abschnitt handelt von dem Verlagern der Befehlsgewalt vom Menschen hin zur Maschine. Außerdem fällt auf, dass die Entwicklung des Computerprogramms von der amerikanischen Luftwaffe veranlasst und durch die Namensgebung ein alttestamentlicher Bezug herstellt wurde (vgl. Jesaja 27,1; Hiob 3, 8; Hiob 40, 25-32).
Somit werden die Bereiche Militär und Religion angesprochen und auf sprachlicher Ebene verknüpft.
Eine sprachliche Verbindung von Militär und Religion lässt sich auch anhand der ersten Atombombe der Welt, der sogenannten Trinity-Bombe, nachweisen. Ihr Namensgeber J. Robert Oppenheimer nimmt hierbei Bezug auf ein Gedicht von John Donne. Im 14. Sonnett heißt es: "Zerschlage mein Herz, dreifaltiger Gott" (3).
Die Verlagerung der Befehlsgewalt und die daraus resultierende computergestützte Entscheidung thematisiert Paul Virilio folgendermaßen:
"Verdeutlichen lässt sich das anhand des "Mutuel Assured Destruction"-Systems (M.A.D.) sowie der - nur durch den Zerfall der Sowjetunion unterbrochenen - Entwicklung einer wahrhaften doomsday machine, die dazu geeignet wäre, über die passive Sterbehilfe der gesamten Menschheit zu entscheiden - indem sie automatisch die atomare Apokalypse auslöste." (4)
Dass Maschinen Menschen Entscheidungen abnehmen, fasziniert heute die Informatiker. Google-Gründer Larry Page, dessen Vater Carl Page als "a pioneer and world authority in computer science and artificial intelligence" (5) bezeichnet wurde, sagte in einem Interview:
"Ein aufregender Aspekt ist die Vorstellung, dass Ihr Gehirn von Google verstärkt wird. Wenn Sie beispielsweise an etwas denken, könnte Ihnen Ihr Handy die Antwort ins Ohr flüstern." (6)
Bequemlichkeit und Unbeschwertheit spielen bei Aldous Huxley's 1932 veröffentlichtem Buch Brave New World eine entscheidende Rolle. In der von ihm entworfenen Welt "werden Menschen kontrolliert, indem man ihnen Freude zufügt. (…) Er glaubte, dass Menschen ihre Unterdrückung lieben und die Technologien bewundern werden, die ihnen ihre Denkfähigkeiten nehmen." (7)
Marissa Mayer, Vizepräsidentin von Google, sagt 2006 im Spiegel-Interview:
"Ich persönlich zum Beispiel habe 'Google Desktop Search' auf meinem Computer installiert - auch wenn das bedeutet, dass ein Google-Programm theoretisch Zugriff auf alle meine Files hat und weiß, wann ich wie lange auf welcher Seite war. Einfach weil es mein Leben so viel angenehmer macht. Man sollte da nicht paranoid werden." (8)
Tatsächlich gibt es keinen Grund, paranoid zu werden, denn das Motto in der Schönen Neuen Welt heißt ja bekanntlich "Don't be evil".
(1) Frank Schirrmacher, Payback, 2009, 51
(2) ebd., 52
(3) http://www.luminarium.org/sevenlit/donne/sonnet14.php
(4) Paul Virilio. Information und Apokalypse - Die Strategie der Täuschung, 1998. Titel der
Orginalausgaben: La bombe informatique; strategie de la deception, 13
(5) David A. Vise, The Google Story, 2005, 22
(6) Carr, N: The Big Switch. Der große Wandel. Heidelberg 2009, 249
(7) Neil Postman, Amusing ourselves to death. New York 1985, 5
(8) http://www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,409431,00.html, S.1